Ort: Limes Weltkulturerbe – Kastell Eining – Neustadt a. d. Donau

Die Plastik – Den Bildern entsprungen

Seit der Figur des „Druiden Totenwache“ 1994 hat Rudolf Reiter ein umfangreiches, plastisches Werk geschaffen. Es umfasst Freiplastiken aus Bronze und Steinskulpturen und nahm seinen Anfang in den ersten Reliefs wie „Jäger und Sammler“.

In dieser Monographie sollen nur einige Beispiele der Plastiken Reiters gezeigt werden. Dieser Komplex aus des Künstlers Schaffen darf nicht völlig fehlen, da er für Reiter zeitweilig große Bedeutung gewonnen hat und überdies aufs engste mit dem gemalten, gezeichneten und gedruckten Schaffen zusammenhängt.
Denn die Plastik überführt Bildgedanken buchstäblich ins Leibhaftige und Räumliche – Bildfindungen die sich auf dem Papier auf der Leinwand schon in anderer Form sichtbar abzeichneten.

„Im Bereich der Bildhauerei bleibt der Künstler zwar dem Gegenständlichen verhaftet, sucht den tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel aufgrund unserer geschichtlichen Abläufe zu erklären. Demzufolge entstehen hier bei der Findung einer anderen substantiellen menschlichen Identität, der Übereinstimmung von Körper und Geist, schemenhafte Skulpturen, die durch ihre ungewöhnliche Plastizität zu überzeugen verstehen und den Betrachter in ihnen Bann ziehen. Die Motive, die den Grenzgänger Rudolf L. Reiter als Maler und Philosoph bewegen, finden sich auch in seinen Skulpturen wieder. Themen wie Metamorphose oder Transformation spiegeln seine Empfindungen wider, die jetzt sichtbar in die Skulptur einfließen und dazu beitragen, dass neue Motive entstehen.
Reiters Plastiken erinnern an vergessene oder verschüttete Lebenszusammenhänge – er holt gerade als Bildhauer dank seiner metapherreichen, symbolträchtigen und besonders plastischen Bildsprache das Wissen um jene Lebenszusammenhänge aus den Verliesen des Unterbewusstseins zurück ans Tageslicht des Geschehens. Natur und Mensch, Zivilisation und Technik, Kunst und Leben, ebenso wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind für Reiter keine unvereinbaren Größen. Er ist weder ein rückwärtsgewandter Romantiker, noch ein realitätsfremder Utopist, sondern – ganz im Gegenteil – ein philosophischer Erzähler, der in seinen Skulpturen die Rätsel unseres Daseins zu entschlüsseln sucht. Im plastischen Werk Reiters wird das gebrochene Verhältnis der Menschen zu ihrer Wirklichkeit offenbar. Jedes einzelne Werkbeispiel enthält seine universale Weitsicht in Nuancen – als Teil eines über die kulturellen Grenzen hinausgehenden Schaffens.“

Prof. Franz Schilke, 2005

Reiter 1977 – „Alles was war, zieht an mir vorüber“.
Plastik ist Denken, schreibt Joseph Beuys 1977 an eine seiner berühmten Wandtafeln. Im Münchner Idion-Verlag treffen Reiter und Beuys zum ersten mal aufeinander … jedes selbstbestimmte Gestalten, angefangen beim Denken über das Reden und Handeln bis hin zur Gestaltung von Objekten und Bildern, ist plastisches Gestalten … predigt J. Beuys Reiter – die ersten Objektkästen entstehen – von Beuys beeinflusst schafft Reiter aus Radioröhren und Holzbuchstaben und gegossenem Blei Objektkunst im Stile von Marcel Duchamp ohne den Ausdruck „Readymade“ je gehört zu haben.

„Je feindseliger die Kritik, desto mehr sollte der Künstler ermutigt sein“ schreibt Duchamp im Jahre 1913. Bei der großen Retrospektive im Musterhaus am Münchner Airport zum 50. Geburtstag von Reiter, liegt die erste Druidenfigur in einem Glasschrein – „Im Wandel der Zeit die Zeitzeichen Erkennen“ – in einem Grab begraben. Perlen – Glasteile – Muscheln – Steine – vermodertes Holz – schon jetzt zeigt sich Reiters Glaube an die Wiedergeburt in Form und Stofflichkeit“. Der Grundstein für die spätere Skulptur „Glückspendler“ war geboren – 1997 schafft Reiter in einer von ihm gemischten Legierung aus Messing, Kupferanteilen und Bronze diese Skulptur. Er fühlt sich in der Rolle des Alchimisten überaus wohl – gibt die Rezeptur des Materials nie preis. Die Gestalt des Pendlers wird zur wichtigsten Skulptur Reiters. Die erste Fassung war eine aus Gips und Kreide geformte Figur, die eine Steinschleuder in der Hand hält – David, zweiter König von Israel, siegt über Goliath.

Reiter verändert die Grundfigur, geschlechtlich lässt sich der Pendler gegenüber dem Muschelsucher nicht identifizieren – rechts hält er ein Pendel aus Stein in der Hand, links einen Federkiel. Einem Omen gleich schwingt gutes zu bösem Licht in die Dunkelheit – jetzt geht Reiter ganz im Gedankengut Friedrich Hölderlins auf – wird Eins mit dessen Seelen- und Gemütsleben – findet sich bestätigt – aus der Einsamkeit heraus erfindet er die Gestalt griechischer Schönheit – getragen von Zwiespalt – zwischen Wirklichkeit und Mythos.

Hölderlins (1770-1843) verzweifeltes Diktum aus dem „Hyperion“, dem Schicksalslied um 1770:

„…doch uns ist gegeben, auf keiner Stätte zu ruhen,
es schwinden, es fallen die leibenden Menschen
blindlings von einer Stunde zur anderen,
wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen,
Jahrlang ins ungewisse hinab.“

Rudolf Reiter begreift sich selbst als Spurensucher. Er wandert auf den geistigen Quellen der vergangenen Kulturen, sucht und findet diese. Der Federkiel in der linken Hand des „Glückspendlers“ ist Hinweis auf die Kabbala – das Pendel zeigt Spuren von Runen und Zahlensymbolen. Natürlich, Gott hat die Menschen verlassen. Das ist in der Kabbala überhaupt erst der Anfang der Welt. Gott ist in der jüdischen Mystik keine Person, sondern ALLES.

Auch bei Hölderlin finden wir die Frage nach dem Raum den Gott frei gibt – den Raum, wo sich alles entwickelt. Da erschließen sich Zeiträume bis ins Mystische und Legendäre – unendliche Himmelsräume öffnen sich ins Kosmische.

Der Tod seiner geliebten Frau Hilde hat den Künstler früh erkennen lassen, dass Schmerz, Leiden und Tod unabdingbar zu jeder Existenz gehören. Der Mund des Pendlers geschlossen – kein Ton mehr, der Blick scheint ins Leere gerichtet – doch der Blick geht hinaus über alles Irdische – gibt die Sicht frei, für die Hoffnung in jedem Schmerz. Im Januar 2010 gießt Reiter den Pendler in Bronze, lässt noch einmal alle Energie und Liebe, Trauer und Schmerz in die Figur einfließen – wird ganz Eins – geht auf in Material und Form, das Ende des Pendels ist geboren – der Anfang symbolisiert.

Im September 2010 stellt Reiter die Bronzeskulptur ‚“Glückspendler“ am Grab seiner Frau auf.

Rudolf Reiter, 2010

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