Erste Wanne, letzte Wanne
Die Wanne als Endstation im Kreislauf von Werden und Vergehen.
Reiters Aktionskunst lässt sich nur erschließen, wenn man sich eingehend mit dem Denken des Künstlers vertaut macht. Allen seinen Werken ist eine intensive gedankliche Durchdringung zu eigen. Dazu gehört die tiefe philosophisch-religiöse Beschäftigung mit den Fragen nach Erneuerungsund Veränderungsprozessen in der Natur. Reiter sucht nach der Einheit von Mensch und Natur, nach dem Wandel, der Metamorphose und der Wiedergeburt des menschlichen Seins.
Nach den heiligen Textfassungen alter Religionen besitzt das Wasser die Macht, Leben, Kraft und Reinheit zu verleihen und zwar im geistigen wie im körperlichen Sinn. Die im christlichen verankerte reinigende Wirkung des Wassers ist Teil des sakramentalen Taufrituals. Wasser gilt als heiligendes Zeichen und begleitet den Umdenkenden in einen neuen Seinzustand.
Wasser wird seit der Antike die Fähigkeit zugedacht, Körper und Seele zu reinigen und den Menschen dadurch in einen anderen geistigen Zustand zu versetzen. Es ist seit jahrhunderten ein Symbol des Übergangs und markiert die wichtigsten Etappen des Lebens: In den meisten Kulturen gibt es das Taufband, das rituelle Bad vor der Ehe, die Waschung der Toten, um die Seele vor der Reise ins Jenseits zu reinigen. Das Neugeborene wird gebadet, wenn es das Licht der Welt erblickt. In den abendländischen Kulturen ist es eher das Eintauchen des Körpers, das uns das Gefühl einer seelischen-geistigen Wiedergeburt vermittelt: Ins Wasser zu tauchen heißt, zu den Quellen des Lebens zurückzukehren, im Sinne der Psychoanalyse auch in das pränatale Leben im Uterus; es bedeutet, in einem Gefühl der Sicherheit zu schweben und dabei vorübergehend einen Zustand der Regression, ja der Verletzlichkeit in Kauf zu nehmen, auf den eine Phase der Erholung und Regenerierung folgt.
Bei der Kunstaktion „Wannenkunst 2008“ zeigte Reiter wohl die umfassenste existenzielle Arbeit der letzten Jahre. Seine gigantische farbenprächtige Gemäldecollage, die vom Fruchtwasser umspülten Ungeborenen bis zum Tod in der Wanne reicht, wobei er mit Jacques-Louis Davids „ Der Tod des Marat“ eines der berühmtesten Bilder der Kunstgeschichte zitiert.
Rudolf L. Reiter 2007