„Zeig mir die Wunden deiner Seele“ – In Erinnerung an Joseph Beuys 2003

„Zeig mir die Wunden deiner Seele“

Rudolf L. Reiters Performance: In Erinnerung an Joseph Beuys

Viel hat nicht gefehlt, und Erding wäre tatsächlich Schauplatz einer Joseph- Beuys-Ausstellung geworden – wäre Rudolf L. Reiter damals, Mitte der 70er Jahre, nicht so skeptisch gewesen. Er sagte das an ihn herangetragene Projekt nach einigem Zögern ab. Heute ist der Erdinger Künstler froh, dem großen deutschen Nachkriegskünstler später doch noch begegnet zu sein.

In einer langen Diskussion mit Beuys stellte er fest, dass beide in der Kunst ähnliche Ziele verfolgten. Nun, 26 Jahre nach dem Zusammentreffen, wählte Reiter eine Hommage, um an seine Verbundenheit mit Beuys zu erinnern – die Performance mit dem Titel „Zeig mir die Wunden deiner Seele“.

Einen Wiedergänger von Beuys, wie ihn etwa „Körperwelten“-Erfinder und Hutträger Gunther von Hagens gibt, erlebte man dabei nicht. Nein, Reiter hatte ein rotes Barett auf und trug einen alten Militärmantel und schwere Stiefel, als er in seinem Atelier am Rätschenbach in Aktion trat.

In der Mitte des Raumes standen zwei schräg gelagerte Leichenbahren: links ein Brett, auf dem Reiters Figur eines Druiden aufgebahrt war, rechts die alte Bahre, die ursprünglich für Beuys`Installation „Zeige deine Wunde“ vorgesehen war; in der Zinkwanne lag, locker drapiert, ein weißes Leintuch. Der Künstler wusch sich zuerst die Hände und ließ sich von seinem Assistenten die Augen mit einem Filzband verbinden. Im Kerzenschein zweier großer jüdischer Leuchter wird er dann zu einem Wasserbottich geführt, wo es passiert. Reiter spritzt Wasser auf das Leintuch, das sich an den nassen Stellen langsam einfärbt – blutrot.

Mehrere Besucher schließen sich nacheinander an, und die Flecken werden immer dunkler. Zurück bleibt ein nachdenkliches Publikum. Was hatte es gesehen?

Die Aktion steckte voller direkter Verweise und versteckter Anspielungen, die man am besten in einem Vergleich mit Beuys` berühmter Installation „Zeige deine Wunde“ im Lehnbachhaus versteht. Beide Male geht es um die Erfahrung des Todes als existenzielle Grenze, was immer noch eine Art Tabuverletzung ist. Doch während Beuys seine Installation mit zahlreichen Beigaben verrätselte, macht es Reiter dem Betrachter leichter.

Er hat „Zeige deine Wunde“ ins Aktionistische gewendet, in eine kultische Handlung, die auch eindeutige Bilder verwendete: Reiter ließ sich die Augen verbinden, stellvertretend für die, die „ihre Augen verschließen“. Er zeigte anders als Beuys tatsächlich einen Toten – den Druiden als mumifizierten, archaischen Leichnam. Und er zauberte Blut auf ein unbeflecktes Leintuch. Alles das blieb eine Hommage, eine Übersetzung von Beuys, nur das später an der Atelierwand aufgespannte Leintuch verwies auf Reiter als Maler informeller Gemälde: Wie zufällig waren Flecken und Spritzer darauf verteilt, in hellem Magenta bis zu dunklem Violett – die chemischen Reaktionen des medizinischen Pulvers Kaliumpermanganat, das Reiter vorher unter dem Leintuch verteilt hatte.

Markus Zehentbauer

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