Rudolf L. Reiter - Wandlung eines Künstlers

Kunstwerke seiner Zeit sagte er: “Sie sehen nicht aus, wie wenn sie von jemand gemacht, sondern als wenn sie von selbst entstanden wären. Natur hat sich geäußert.“ Für Baumeister sind also die gleichen Kräfte, die in der erscheinenden Natur als Modulation und Metamorphose des Absoluten walten, auch in der Kunst wirksam. Während ein Kunstwerk entsteht, so Baumeister, passiert es, dass der Künstler seine Handlungen nicht mehr bewusst steuert, sondern unbewusst gesteuert wird. Eine Erfahrung, die der von Reiter sehr nahe kommt. “Ich bin das nicht selbst, der den Pinsel führt“, sagt dieser. An diesem Punkt wird deutlich, dass Baumei- sters Schrift nicht nur ein Resümee der modernen Kunst darstellt, sondern in ihrer Betonung des Unbewussten auch als eine Grundlage der infor- mellen Malerei gelten kann. Und wie die Moderne überhaupt, geht “Das Unbekannte in der Kunst“ unter anderem auch auf den deutschen Idealis- mus und also die Romantik zurück. Auf jene gei- stige Haltung, die immer wieder als die wesent- liche Quelle für die künstlerische Arbeit Rudolf L. Reiters genannt wurde. Mit einiger Berechtigung. Denn drei wesentliche Aspekte in seinem Denken lassen sich auf eine Romantik-Rezeption zurück- führen: die Sehnsucht nach einer Einheit mit der Natur, die Sehnsucht nach Unendlichkeit, nach Transzendenz, sowie der sentimentalische Blick in die Vergangenheit, auf das Ursprüngliche. Rei- ter hat diese Deutung selbst noch befördert, als er sich nach der Wende nach Ostdeutschland aufmachte, um dort den Spuren von Caspar Da- vid Friedrich zu folgen. Auf Rügen kletterte er in den Kreidefelsen, filmte dort eineinhalb Stunden lang einen Sonnenuntergang, und in der Kirchen- ruine Eldena legte er sich auf einen Grabstein und meditierte. “Moderner Romantiker“ war deshalb auch die Be- zeichnung, die sich für den Landschafter Reiter durchsetzte. Doch kann man die Romantik-Re- zeption gleichermaßen auf die informelle Male- rei beziehen eine Malerei, bei deren Schaffens- akt Künstler und Natur im Sinne Baumeisters zu einem Handelnden verschmelzen und in deren Werken die transzendente Natur, die natura na- turans, sichtbar wird. Insbesondere die Materi- albilder, die in den 90er Jahren entstanden, ma- chen dabei Reiters romantische Suche nach dem Ursprünglichen und Archaischen anschaulich: Kultische Gegenstände, Runenzeichen und an- dere Archetypen treten hier aus der Bildstruktur hervor und verweisen auf Vergangenheit und die zeitliche Dimension der Malerei. Auf einer konkreteren Ebene scheint es leichter zu sein, eine Verbindung zur Romantik herzustellen, eine Nähe der Landschaftsbilder etwa zu jenen von Caspar David Friedrich. Nicht allerdings, was den Malstil betrifft. Reiters diffuser Farbauftrag, die weichen Übergänge und Verwischungen ge- ben seinen Landschaften etwas Unbestimmtes, die Form Auflösendes, das den klaren Umris- sen Friedrichs gegenübersteht. Gleichzeitig sind jedoch auch sie erfüllt und aufgeladen mit ei- ner Symbolik, die schon der romantische Land- schaftsmaler Carl Gustav Carus in seinen “Neun Briefen über Landschaftsmalerei“ beschrieben hat. Die Natur, also Blume, Wolken, Wald, so legte er dar, “sind doch zuhöchst nur unendlich wechselnde Erscheinungen ewiger Gedanken jenes einen höchsten Mysteriums, welches wir Gott nennen“. Und deshalb forderte er eine Land- schaftsmalerei, “in welcher die Natur als Symbol, als Hieroglyphe nur geachtet wird und man ge- nug getan zu haben glaubt, wenn die Objekte nur so weit kenntlich wurden, daß ihre symbolische Bedeutung empfunden werden kann“. Solche be- seelten Landschaften malt Rudolf L. Reiter, und im Laufe der Zeit hat er dafür ein Repertoire an Motiven entwickelt, das er in seinem Atelier immer wieder abrufen kann: die Rückenfigur, die ähnlich wie bei Friedrich stellvertretend für den Maler und für den Betrachter in der Landschaft steht und auf die Einheit von Mensch und Natur hindeu- tet; die Pforte und der Torbogen als Symbole für die Grenze zwischen Leben und Tod, zwischen Dies- und Jenseits; der schon erwähnte Regen- bogen; der helle Schein am Horizont, wo Himmel und Erde ineinander übergehen, der Unendlich- keit, Transzendenz imaginiert; die Ruine, die auf das Werden und Vergehen, auf die Geschichte der Landschaft verweist. Reiters Landschaften sind keine topografischen Darstellungen, sie ge- hen auf innere Bilder zurück und bleiben fiktiv. Es gibt unter den bekannteren zeitgenössischen Künstlern nicht viele, die sich mit Landschafts- malerei beschäftigen. Deshalb sei hier nur einer, der Maler Gerhard Richter, erwähnt, der ebenfalls mit scheinbaren Stilwechseln arbeitet: Parallel zu der Reihe “Abstrakte Bilder“ legt er nach wie vor vordergründig gegenständliche Bilder vor, die nach fotografischen Vorlagen entstehen und unter denen oft auch Landschaften sind. Nicht nur deshalb hat man Richter auch in einen Zu- sammenhang mit der Romantik gebracht, eine Annahme, die leicht zu widerlegen ist: bleiben in diesen unscharf erscheinenden Fotoverma- lungen und -verwischungen doch immer die me- dialen Bedingungen der Fotografie bestimmend. Ein Bezug zur Malerei Rudolf L. Reiters ist ande- rerseits auch bei den “Abstrakten Bildern“ nicht festzustellen, in denen Richter mit großen Rakeln Farbschichten übereinanderlegt und verwischt. Richters Bilder legen die unendliche Vielfalt als Möglichkeit offen, sie sind Malerei über Malerei. Insofern kann Richter als Maler der Postmoderne gelten, wo Rudolf L. Reiter wie beschrieben noch ganz der Moderne verhaftet ist. Anfangs war es die informelle Malerei der 40er und 50er Jahre, an der Reiter sich orientierte: Vom action painter

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