Rudolf L. Reiter - 1997

Rudolf L. Reiter - Metamorphosen Viele sehen in Rudolf L. Reiter einen der wichtigsten Vertreter der Romantischen Malerei. Ich glaube jedoch, daß dieser Stilbegriff für Reiters Oeuvre zu eng gefaßt ist, daß seine Arbeiten weit mehr bei jenen Sigmar Polkes oder Gerhard Richters anzusiedeln sind. Dem– zufolge zähle ich ihn bereits heute aufgrundseiner viel– schichtigen Gesamtstrategie zu einer der augenfällig– sten und beachtenswertesten Erscheinungen im Bereich der Neuen Malerei. Gerade Reiters Experimentierfreudigkeit, die Grenzen zwischen Abstraktion und Realität immer wieder unter den verschiedensten Gesichtspunkten neu zu definie– ren, zeigt das stetige Bemühen des Künstlers, seiner Bildwelt andere, noch nie dagewesene Inhalte zu ver– leihen. Dabei setzt RudolfL. Reiter sein ganzes kreatives Kön– nen ein, um im risikoreichen Spannungspiel mit Far– ben, Formen und Inhalten realitätsnahe Bezüge mit trau– matischen Empfindungen spontan im Bild zu vernetzen. Hier sucht er ganz bewußt die Konfrontation, will durchaus provozieren, um auf diese Weise gegen Schal– heit und wachsende Empfindungsverluste zu reagieren. Die Aachener Kunsthistorikerin Gabriele Uelsberg ist der Auffassung, daß Reiter in seinen informell-abstrak– ten Werken zu einer Bildsprache gefunden hat, die es ihm ermöglicht, seine künstlerische Ausdrucksfähig– keit vehementer und spontaner auszuleben, ohne an Prä– zision und Delikatesse zu verlieren. Nach ihren Wor– ten ist diese Entwicklung von den ersten eher naturali– stischen Bildmotiven über die phantastischen Traum– landschaften bis hin zu rein gegenstandslosen, infor– mellen Bildfindungen vielleicht auf den ersten Blick ungewöhnlich, läßt sich aber im Rückblick auf den künstlerischen Werdegang Reiters als nahezu zwangs– läufig ablesen. Dem gegenüber glaubte Professor Horst Schüppel, daß Reiter seine Aufgabe vor allem darin sähe, die Lücke zwischen den Intellektuellen, zwischen der formel- und wissenschaftsanbetenden Ratio zu schließen durch Sen– sibilisierungen. Humanität steht - laut Schüppel - für ihn über dem ratioanbetenden Verstand des Intellektes, wobei Reiters Irrationalität in seinen Inhalten in beson– derem Maße das Nacherleben, das Nachersinnen erfor– dert und man durch den Künstler das Individuum in sich wachsen fühlt, das auch die Kraft hat, die Natur zum Wunschbild des freien Geistes schaffen zu kön– nen. Rudolf L. Reiter erweitert jene Interpretationen durch nachfolgende sehr persönliche Ausführungen und bringt uns damit seine Visionen nahe: "Die abstrakten Bilder zeigen meine Realitäts-Empfin– dungen aus der durchlebten Jetztzeit - unverarbeitete Sensibilisierungen, geboren durch Spontanität und vi– brierendes Farbenspiel. Dies ist- grob vereinfacht- ein Versuch, der Abstrakti– on Namen und Inhalte zu geben. Meine Landschaften und Lichtfelder sind geboren aus der Sehnsucht nach klassischer Ordnung und heiler Welt sowie dem Wunschdenken von romantischer Poesie, motiviert von der Sehnsucht nach dem Unendlichen". Mir fallen bei der Betrachtung von Reiters Bildern im besonderen die morphologischen Wunder der antiken Mythologie ein, die schier unbegrenzt verwandlungs– fähig sind - Formen, die sich in ihrer atemberaubenden Schönheit immer wieder aufs Neue offenbaren, sich wie von selbst aus der Wirklichkeit in eine Traumwelt flüch– ten und somit ein Spannungsfeld der Empfindungen bil– den, das mich jedesmal erneut in seinen Bann zieht. Bei Reiter nimmt die Malerei - trotz eines tiefgreifen– den gesellschaftspolitischen Wandels- keineswegs Ab– schied von utopischen Träumen - er sucht geradezu nach einer neuen substantiellen menschlichen Identität, der Übereinstimmung von Körper und Geist, und nur ganz wenigen Kunstschaffenden gelingt es heute, dieses Sze– narium so eindrucksvoll auf der Leinwand festzuhal– ten - wie ihm. Speziell durch das Eintauchen in mythologische Meta– morphosen dringt Reiter mit seiner Malerei in verschüt– tete Bewußtseinsebenen vor. Man kann sie förmlich spüren, die Symbole des Untergangs und das Fanal der Wiedergeburt. Dabei hilft ihm das feine Gespür für den dramatischen Umbruch ebenso wie die Hinwendung zur konkreten Utopie, um neue universelle Begriffe zu schaffen, die auf den Betrachter geheimnisvoll und rät– selhaft wirken. Demzufolge ist es wichtig, sich seinen Werken völlig unvoreingenommen und emotionslos zu nähern, stel– len sich doch die Emotionen beim Zuschauer ganz von selbst ein. Reiters Bilder lassen keinen unberührt! Nach Fritz Winter bedarf es eines größeren Glaubens und einer größeren Kraft, Unsichtbares in freier Ge– staltung sichtbar zu machen, als Sichtbares und Faßba– res immer nur als solches zu bestätigen. Rudolf L. Reiters Oeuvre in seiner magischen Mystik und Schönheit wird diesem hohen Anspruch durchaus gerecht! Prof. Franz Schilke München

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