Rudolf L. Reiter - Mit der Seele sehen

Verbergen hat dabei auch etwas geradezu Magisches. So waren vor der Gotik einst Reliquien in Säulen- kapitelle und andere Architekturteile prominenter Kirchenbauten eingefügt, um der Kirche Schutz und das Heilige zu verleihen. Später war hingegen zumindest eine teilweise Sichtbarkeit der Reliquien wichtig. Ähnlich verhält es sich mit der nicht immer sichtbaren weil im Tabernakel verwahrten Hostie, dem Schlie- ßen eines Wandelaltars oder dem Verhängen von Kreuzen und heiligen Bildnissen in der Fastenzeit. Dabei ist das Wissen um das Vorhandensein des Göttlichen, der Hostie oder der Bildnisse der Heiligen dennoch vorhanden. Das spätere Enthüllen soll die Gläubigen das nun wieder zu Erschauende mit neuen Augen sehen lassen. Verhüllen ist daher immer auch Spiel mit Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit bis hin zu einem eher ungewoll- ten Zwiespalt, wenn der Betrachter die Hülle als eigentliches Kunstwerk oder dessen Sinn betrachtet. Der Künstler Rudolf L. Reiter will gerade nicht den Augensinn des Publikums ansprechen. Gerade die Hülle soll das Darunterliegende ent-hüllen, wenngleich auf eher emotionaler oder metaphysischer Ebene. Sie ist trotz möglicher Irritation unverzichtbar in diesem Projekt, das eben auch Experiment ist. Erwartungen werden nicht erfüllt. Der Betrachter ist auf sich und seine Empfindungen zurückgeworfen. Die Reduktion gestaltet jedoch das Erlebnis – zumindest hoffentlich – umso intensiver. Es gilt nur, sich auf die Begegnung von Kunst (oder Nicht-Kunst) und eigenem inneren Erleben einzulassen: eben mit der Seele sehen. Christine Fößmeier, Oktober 2018 Polke war kritischer und spöttischer als Warhol Zu Beginn seines Schaffens in den 60er-Jahren setzte sich Polke wie die amerikanische Pop-Art mit der Warenwelt der Konsumgesellschaft ausei- nander, aber kritischer, spöttischer als Warhol und Lichtenstein. Überall auf seinen Bildern zerstören Kleckse, Flecke, Druckstellen und andere Fehler die schöne Ordnung. Sigmar Polke, Moderne Kunst, 1968, Acryl und Lack auf Leinwand, 150 x 125 cm, Sammlung Froehlich, Stuttgart

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