Rudolf L. Reiter - Mit der Seele sehen

die Seele des Künstlers mit der bemalten Leinwand auch die Seele des Betrachters zum Schwingen? Hier geht es nicht um ein telepathisches Erfassen. Reiter möchte wissen, ob die Aura eines, konkret seines Kunstwerks spürbar ist. Und Aura knüpft sich – wie der Kulturkritiker und Philosoph Walter Benjamin einst feststellte – an ein Original und verkümmert in der Reproduktion. Nur das Original schafft beim Betrachter ein auratisches Erlebnis mit echter innerer Bewegtheit. Insofern wird sogar die Installation, bei der so wenig zu erschauen scheint, insgesamt zur ernsthaften und echten Kunsterfahrung, da auch die Kunst-Aktion eine eigene Aura ausstrahlt. Hier unterscheidet sich Reiters Aktion von anderen Aktionismen, die auf den Erwerb oder gar die Ausstellung von unsichtbaren Bildern setzen. So hat der Schauspieler James Franco das „MONA“, das „Museum of Non-Visible Art“, ins Leben gerufen – was wohl eher cleverer PR-Trick denn ernsthaftes Kunst-Projekt ist. Interessanter ist da schon Lana Newstroms Ausstellungsraum mit unsichtbarer Kunst, behauptet sie doch immerhin, zahlreiche Arbeitsstunden in die Kreation der Werke ge- steckt zu haben. Das Entscheidende in allen diesen Fällen ist das schöpferische Element, das bei Reiters Kunst-Aktion durch das Vorhandensein zumindest eines real existierenden, wenngleich zeitweise nicht sichtbaren Kunstwerkes gegeben ist. Tatsächlich nicht Vorhandenem und nie Ge- schaffenem fehlt hingegen die Seele und letztlich die Strahlmacht. Mehr als Kritik am Kunstmarkt Echtheit, Authentizität und Schöpferkraft des Künstlers sind Reiter wichtig. Seiner Meinung nach würden heutzutage allzu oft „des Kaisers neue Kleider“ geschaffen. Der Künstler verweist hier auf die Plattitüde von den 3.000 Picassos, von denen 10.000 in Amerika hängen würden. Ebenso seien Preise für Kunstwerke, deren Echtheit wie im Falle des mittlerweile Leonardo da Vinci zugesproche- nen und für 450 Millionen Dollar versteigerten „Salvator Mundi“-Gemäldes zumindest fraglich erscheint, eigentlich eher als fiktiv denn real anzu- sehen. Reiter spricht hier von „Traumzahlen“. Sehr ernsthaft hängt er allerdings eine Frage an: Wenn ein Meisterfälscher ein absolut dem Original entspre- chendes Bild schafft, wie ist dieses dann zu bewerten? Was strahlt die perfekte Kopie aus? Für Reiter ist Kunst mehr als Optik und bloß Erschautes. Es besteht demnach ein Unterschied zwischen äußerlich gleich scheinenden Bildern. Schon die Emotionslosigkeit, mit welcher der Kopist vorgehen muss, macht den Unterschied. Immer wieder nennt Reiter deshalb Kandinsky. Beide wollen dem Betrachter eine Annäherung an das Jen- seitig-Göttliche zu ermöglichen. Hier ist der Erdinger mit „Mit der Seele sehen“ ganz nah an Kandinskys Denken und schafft dabei vielleicht gleichzeitig den größten Unterschied zwischen sich und dem großen Anderen, für den die erschaubare Kunst trotz allem als Medium essentiell bleibt. Für Reiter ist es die in- formelle Kunst, die dem zutiefst Gläubigen einen Blick in Gottes Schöpfungswelt und dessen universelle Energie ermöglicht, die erst im Erschaffenen als „gepresste Energie“ als Stein, Baum, Mensch sichtbar

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