Rudolf L. Reiter - Gegen den Strom
38 auf denen vielschichtige Farb-Form-Strukturen vor allem den Prozess ihrer Entstehung sichtbar machen. Genauso gut könn- te man allerdings formulieren, die Landschaften seien abstrakt, weil sie auf inneren Bildern, auf Erinnerung beruhen, und die informelle Malerei gegenständlich, weil sie die bildnerischen Mittel unmittelbar zeigt.“ 4 Die Relativierung dessen, was konkret und was abstrakt ist, was real und was nur in Gedanken existier t, sollte einem Künstler wie Reiter zusagen, denn eigentlich steht seine Kunst unter einem großen Motto. „Ich möchte Unsichtbares sicht- bar machen“, äußer t Reiter wiederholt. Dass es in „Seelen der Unendlichkeit“ um mehr als ein Landschaftsbild geht, deu- tet ja bereits der Titel an, der eher auf Jenseitiges, das irdische Dasein Transzendierende zielt. Auch auf den Plural im Titel sei explizit hingewiesen, sieht das Auge doch im Grunde zual- lererst eine einzelne „Seele“, nämlich den Wanderer. Wo sind also die Seelen zu finden? In der beseelten Natur etwa? In ei- nem Leben, das sich am Ende des Weges, mit den zuvor Ver- storbenen wiedervereint? Der einsame Wanderer wäre dem- nach auf einer symbolhaften Lebensreise, die ihn irgendwann in den Tod und über den Tod hinaus führen wird – eine Über- legung, die erneut Reiters von ihm selbst der Romantischen Moderne zugeordnetes Kunstwerk mit der romantischen Ge- dankenwelt eines Caspar David Friedrich verbindet. Die gro- ßen blauen Himmels-, Wolken- und Nebelflächen geraten bei Reiter zu einem Blick in die Unendlichkeit. Die konkret zu veror tende Weite von Friedrichs „Wanderer über dem Wol- kenmeer“ ist nicht gemeint, sondern die vom menschlichen Auge nur diffus wahrnehmbare Unbegrenz theit der Anders- welt. Nicht mehr ganz hier und noch nicht ganz dor t… So wird deutlich: Während Reiter sich der Romantik zutiefst verpflichtet fühlt, wollte er doch nie deren Kopist sein: „Wenn ich die Kunst der Romantik lediglich kopieren würde, wäre das für mich eine Katastrophe. Aber ich sehe mich in der Verpflichtung, Kunst zu machen, die auf diesen Grundwer ten aufbaut. Viele halten mich für konservativ, aber in unserer Plastikwelt ist das, was ich mache, doch die eigentliche Revo- lution.“ 5
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