Rudolf L. Reiter - Gegen den Strom

28 66 stets nur in einer Ar t Keimzustand, der im anschauenden Be- wusstsein des seelisch empfänglichen Menschen erst zur vollen Realität aufgerufen wird. Wenn das Sinnliche aber gar nicht so umgestaltet werden kann, dass das Unsichtbare sichtbar geworden ist, weil sich die ästhe- tische Erfahrung nicht mit der bloßen Sichtbarkeit erschöpft, dann liegt der Or t, zu dem das Unsichtbare geführ t werden soll, die Wirklichkeit der Kunst, vielmehr in etwas, was Marcel Duchamp einmal provozierend „eine Gaunerei, eine Fata Mor- gana“ bezeichnet hat, frühere Generationen aber den künstleri- schen „Schein“ nannten. Wenn man damit nicht eine bloß subjektive Qualität meint, kann man auch von der „Wirkung“ des Bildes sprechen. Das Paradoxe an dieser sinnlich-nichtsinnlichen Eigentümlichkeit künstlerischer Bilder ist, dass sie nur seelisch er- lebt werden kann, aber vom Betrachter nicht sich selbst, sondern naiv und spontan dem betrachteten Ding zugesprochen wird. Während man in naiver Redeweise davon spricht, dass sich Farben bewegen, bewegen sie sich auch auf Rudolf Reiters Bildern nicht, können sich als getrocknete Farbe gar nicht mehr äußerlich über die Fläche oder in die Tiefe bewegen. Macht man sich diese vermeintliche Banalität nur einmal mit der nötigen Energie klar, wird sogleich deutlich, dass die Sichtbarkeit, in die Reiter das Unsichtbare holen will, gar nicht die sinnliche Sichtbarkeit ist, sondern das konstitutive Medium des ästheti- schen Scheins, in dem etwas sichtbares Sinnliches durch die künstlerische Gestaltung so wirken beginnt, als sei etwas Unsicht- bares sichtbar, ohne dabei jedoch jemals im äusser lichen Sinn sichtbar zu sein. Deshalb kann der Künstler diesen Umstand auch immer nur in Form der Intention beschreiben, niemals aber in Form eines Resultates. Denn das, was in der gelungenen ästhe- tischen Gestaltung angestrebt und erreicht werden kann, ist grundsätzlich niemals vollständig „gegeben“. Es braucht immer den gestimmten Betrachter, der die visuelle Par titur aufgreift, entfaltet und dabei in sich selbst das zu erleben fähig ist, was er dann scheinbar wie vor den Augen liegend erfahren und entde- cken kann. Das betrifft aber auch alle die anderen ästhetischen Qualitäten, die wir genießen können, wenn Rudolf Reiter die anschaulichen Energien seiner bildnerischen Mittel nicht nur entfacht, entfesselt und entfaltet, sondern zugleich und in eins damit die entfesselten Kräfte in ein dynamisches Gleichgewicht zu bringen vermag, das deshalb zu „klingen“ vermag, weil die Strenge ihrer Zusammen- fügung nicht von außen zwanghaft aufgeprägt ist, sondern aus der Substanz der bildnerischen Mittel selbst zu kommen scheint. Es ist die paradoxe künstlerische Form der Beherrschung von

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