Rudolf L. Reiter
Metamorphosen sind das zentrale Thema in Reiters Arbeit: die ständige Verwandlung und Veränderung der Natur, der ewige Kreislauf von Werden und Vergehen, wozu auch Reiters Glaube an die Wiedergeburt gehört. Grundlage dafür ist jedoch eine bestimmte Vorstellung von der Natur, nämlich die Unterscheidung der Scholastik zwischen der natura naturans, der schaffenden Natur, der Natur in ihrer schöpferischen Tätigkeit und der natura naturata, der geschaffenen Natur der Erscheinung der Natur, die erst aus der natura naturans hervorgeht. Natura naturans ist also das, was hinter der erscheinenden Natur liegt, und das ist es, was Rudolf L. Reiter sichtbar zu machen versucht. In den Landschaftsbildern genauso wie in der informellen Malerei, wenn auch in anderer Form. Reiter macht keine Skizzen von der Natur, er ist auch kein Pleinair-Maler, sondern gibt nur seine inneren Bilder wieder - einzelne Motive, die Symbole einer schöpferischen Tätigkeit sind. Zum Beispiel verweist der Regenbogen auf die Verbindung von Himmel und Erde, von Schöpfer und Geschöpf, die Rückenfigur auf einen Wanderer zwischen den Welten. In den informellen Bildstrukturen wiederum stellt Reiter dar, wie die schöpferischen Kräfte und Energien während des Malprozesses auf ihn einwirken. Jene Kräfte, die in den 40er Jahren schon Willi Baumeister in seiner Schrift „Das Unbekannte in der Kunst“ beschrieben hat. 2 Über die Kunstwerke seiner Zeit sagte er: „Sie sehen nicht aus, wie wenn sie von jemand gemacht, sondern als wenn sie von selbst entstanden wären. Natur hat sich geäußert.“ 3 Für Baumeister sind also die gleichen Kräfte, die in der erscheinenden Natur als Modulation und Metamorphose des Absoluten walten, auch in der Kunst wirksam. Während ein Kunstwerk entsteht, so Baumeister, passiert es, dass der Künstler seine Handlungen nicht mehr bewusst steuert, sondern unbewusst gesteuert wird. Eine Erfahrung, die der von Reiter sehr nahe kommt. “Ich bin das nicht selbst, der den Pinsel führt“, sagt dieser. An diesem Punkt wird deutlich, dass Baumeisters Schrift nicht nur ein Resümee der modernen Kunst darstellt, sondern in ihrer Betonung des Unbewussten auch als eine Grundlage der informellen Malerei gelten kann. Und wie die Moderne überhaupt, geht „Das Unbekannte in der Kunst“ unter anderem auch auf den deutschen Idealismus und also die Romantik zurück. Seite I 32
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