Rudolf L. Reiter
„Angst“ taucht im Augenblick des sich Loslösens vom Endlichen auf und stellt sich mit der Freiheit zusammen ein. Das Ich fühlt sich plötzlich auf sich gestellt und findet keinen Halt mehr. „Fragen wir nun näher, welches der Gegenstand der Angst sei, so muss man hier wie allerwegen antworten, er ist Nichts. Angst und Nichts entsprechen einander“ (BA, 1844, 99) Der Ausweg - im Schmerz und in der Kunst ganz bei sich „Wer seine Wunden zeigt, wird geheilt, wer seine Wunden verbirgt, wird nicht geheilt.“ (Schlingensief, Tagebuch, 2009) Die Arbeit am Schmerz wird zur Arbeit an sich selbst. Im Schmerz kommt der Mensch wie ein Künstler in der Kunst zu sich. Wenn der Schmerz am Ende vergeht und der Leib im Tod seine Ich-Grenzen auflöst, welche Rolle kommt dann noch der Seele zu? In den philosophischen Untersuchungen hat der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein (Philosophische Untersuchungen, 1977, S. 283) einen erstaunlich überzeugenden Gedanken dazu formuliert: „Die Religion lehrt, die Seele könne bestehen, wenn der Leib zerfallen ist. Verstehe ich denn, was sie lehrt? – Freilich verstehe ich’s – ich kann mir dabei manches vorstellen. Man hat ja auch Bilder von diesen Dingen gemalt. Und warum sollte so ein Bild nur die unvollkommene Wiedergabe des ausgesprochenen Gedankens sein? Warum soll es nicht den gleichen Dienst tun wie die gesprochene Lehre? Und auf den Dienst kommt es an.“ Der ganze Mensch als Seele Die „Seele“ im Haus, seine Frau, fehlt dem Künstler. Seine Frau Hilde war Reiters menschlicher Rückhalt und persönliche Förderin. Die „Wunden“ ihrer Zeit nehmen Kreative und Künstler intensiv wahr. Kunst und Leben sind eins. Im kreativen Prozess des Erkundens, Findens und Gestaltens finden ihre Wahrnehmungen zu neuer Aussagekraft und Form. Die neuesten Bilder von Rudolf Reiter sind abstrakter Natur und in kräftigen Glasfarben gemalt. Dunkle Schwaden, helle Einschlüsse, gelbe Sonnenpunkte, Schlieren wie Nebelhauch und feurige Flecken, die wie Lippenstiftabdrucke von Küssen wirken, erinnern an die zarte Anfangszeit seiner Liebe. Seite I 18
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