Rudolf L. Reiter
Seite I 178 mit ihr durch das Land gewandert. Von Hof zu Hof. Ich habe schöne Häuser gesehen, reiche Häuser. Und arme Hütten. Ich habe Brotsuppe gegessen. Und auf Stroh geschlafen. Unter der Treppe stand ein Miniaturhaus, an dem man die Türen und Fenster öffnen konnte. Das kleine, aus Holz erbaute Haus, strahlte heile Welt aus. Das kühle Pflaster des Flurs erinnerte an die Würde und Ernsthaftigkeit einer Waldkapelle. Da stand ich eines Morgens vor dem Haus. Es war kalt, der Boden war gefroren. Eine schwarze Kutsche fuhr die nackte Allee entlang. Das läuten der Glocken verkündete, dass jemand gestorben war. Meine kleinen Hände hielten sich am Geländer der Treppe fest. Im Innern des Hauses stieg der Geruch von Brotsuppe auf. Menschen in schwarzer Kleidung. Geschäftiges Treiben. Und ich wusste, schade, dass Großmutter nicht mehr ist.“ Wir erkennen in diesen Zeilen das Bemühen des talentierten Malers, seine Gedanken auch in anderer Form zum Ausdruck zu bringen und auch bei diesem Tun ist er der Gedankenwelt der Spätromantik verhaftet mit ihrer Besinnung auf eine poetisch verklärte Vergangenheit und der Hinwendung zu den „Nachtseiten der Natur“. In seiner Malerei beschreibt Rudolf L. Reiter eigene und neue Wege. Seine Arbeiten sind keine Kopien von Caspar David Friedrich und William Turner, doch verleugnet er die Anregung nicht; er nimmt diese auf, er benutzt sie. Dann aber geht er allein weiter und überwindet die Barriere direkter Bezogenheit zum Erschauten und formt in der subjektiven Deutung des gewonnenen Eindrucks den Bildinhalt neu. „So kann es mir passieren, dass in dem fertigen Bild nicht das Geschaute erkennbar ist, weil eben im Bild nur meine Eindrücke enthalten sind. Und dasselbe Betrachtungsobjekt kann zu einem späteren Zeitpunkt völlig andere Strukturen aufweisen, bedingt durch die stete Veränderung in der Natur und meine persönliche Einstellung“, sagte Reiter einmal in einem Interview. Reiter lässt Gestalten, Gegenstände, Formen schemenhaft werden, er rückt sie von dem Betrachter fort, er erfindet Landschaften in der Landschaft, zeigt sie und wie aufgefächert vor, wie zerlegt und detailliert. Und er setzt im
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