Rudolf L. Reiter - Bis unsere Leben wieder eins sind
bzw. in diesem Fall eines Künstler– lebens ist. Das informelle Bild selbst verliert seinen Darstel– lungscharakter. Die Taxierung des informellen Bildes mit traditionel– len Mittel und Terminologien wird unmöglich, wenn der Rezipient nicht die Person des Künstlers in die Bildbetrachtung mitein– schließt Der abstrakt expressionistische Künstler Rudolf L. Reiter spielt mit kräftigen Farben auf großen Flächen. Dabei lehnt er jede feste Kompositionsregel ab. Geistige Im– pulse, Ideen und spontane Empfin– dungen drückt er durch spontan er– fundene Zeichen aus, durch schnel– les Auftragen von Farblinien und - flecken. Die Form, die Tonwerte, das Gleichgewicht, die Proportio– nen, die einheitliche und durch– dachte Komposition sind nicht mehr maßgebliche Leitlinien. "In dieser Malerei ist das Raumgefühl abgrün– dig, von einer halluzinierenden Kraft geistigen Versinkens." Die Leinwand wird vollständig zur Arena, die Malerei zur Aktion, das entstandene Bild ist das Resul– tat einer ganz echten, unverfälsch– ten Wirklichkeit. "... Auf der Bühne des Bildes ent– wickelt sich ein Prozeß zwischen Geburt und Tod. Und immer bin ich auf der Suche nach meiner ureige– nen Selbstfmdung. Dabei kreuze ich Wege Vorhergegangener - werde zum Grenzgänger von Empfindun– gen und Seelenängsten. Ich unter– werfe mich den physischen Kräften der Erde. In fast kultischen Abläu– fen wirke ich auf Papier und Lein– wand ein- aus Farbflüssen werden organische Strukturen. Mein Unter– bewußtsein durchstreift Räume, Uchttäler und Angstquellen. Chif- frierte Erlebnisse siedeln sich auf der Oberfläche an, nehmen in An– spruch, kämpfen gegen ihre Aus– weisung. Manchmal versuche ich mich mit ihnen zu identifizieren, suche nach Indizien und Botschaf– ten ... " (Rudolf L. Reiter). Ziel von Reiters abstrakt expres– sionistischer Kunst ist die Abkehr von klar definierten Formen, die Auflösung von klassischen Struktu– ren und die Sprengung von Regeln und Normen. Er entwickelte für sich eine Malweise auf der Grund– lage spontaner Gestik, indem er Farbe, Unie und Form auf großfor– matige Bildträger aufbringt. Die Leinwände Reiters sind groß. In der Großformatigkeit fühlt er sich seiner Freiheit sicher und kann schöpferisch die Fläche erfassen, die ihm keine Grenzen setzt. Bereits seit den späten dreißi– ger Jahren des 20. Jahrhunderts spielt die Gestik in der Malerei all– gemein eine bedeutende Rolle. Dies steht in Verbindung mit der surrealistischen Technik des Auto– matismus, die dazu diente, Bilder aus dem Unbewußten und aus der Psyche hervorzuholen. Die Beto– nung der Geste führte dazu auch Zufallswirkungen und unbeabsich– tigte Resultate zu billigen. Reiter knüpft an diese Tradition an, indem er die Leinwand als Bühne benutzt. Es entstehen Bilder auf– grund einer automatisch gesteuer– ten Malweise, die sich fast voll– ständig dem spontan vollzogenen Malakt hingibt. Es entstehen tachi– stische Gemälde. Reiters Gemälde werden zu Empfindungssteno– grammen und Psychogrammen, die dem Zufall oder absolut ge– setztem Schaffensakt ohne bewuß– tes Ziel große Bedeutung zukom- 14 men lassen. Dabei spielt bei Reiter der schöpferische Farbauftrag eine wesentliche Rolle. "Ich fasse keinen Plan, ob ich nun an der Leinwand eine ganz bestimmte Erfahrung machen will, aber die Herstellung und Entste– hung meiner Gemälde wird für mich zur echten und unverfälsch– ten Erfahrung ... " (Rudolf L. Rei– ter). Der Künstler geht nicht mit einer Vorstellung über das Resul– tat seiner Kunst an die Leinwand, sondern mit seinem Malwerkzeug und den Künstlerhänden, die vom Unterbewußtsein gelenkt, das Re– sultat dieser Aktion sichtbar ma– chen. Die Aktion schlägt sich di– rekt und ohne gegenständliche As– soziationen auf den Malgrund nie– der und ist damit Resultat eines dynamischen Ablaufs, der über eine bestimmte Zeitspanne statt– findet. Der Künstler befindet sich bei diesem Malvorgang nicht vor der Leinwand, sondern eher im Bild. Somit hebt er die Grenzen des Bildfeldes auf. In der aufmerksamen Betrach– tung der Kunstwerke findet man bei aller Abstraktion Sinnbilder von Himmel und Unterwelt, Alle– gorien von Leben und Tod, Symbo– le von licht und Schatten. Der Malgrund ist die Arena für das Spiel von hellen und dunklen, schweren und lichten Farben. Die Farben selbst sind Ausdruck der jeweiligen Stimmung des Künst– lers. Das Gemälde wird zu einem materiellen Dokument über die seelische Verfassung des Künstlers zur Zeit des Malprozesses. Dr. Heike K. Schmidt-Kronseder Kunstwissenschaftlerin
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