Rudolf L. Reiter - Bis unsere Leben wieder eins sind
Dieser Künstler aus dem Erdinger Moos, der bei den Bildern, von denen bis– her die Rede war, so sorgfältig arbeitet, daß man die Mühe nicht erkennt, hat sich Ansehen und Beachtung verschafft: mit seinen naturalistischen Landschaf– ten ebenso wie mit seinen >>Visionen von Landschaft«, die schon an der Grenze zum Abstrakten liegen. Aber es gibt noch eine dritte, »neue Welt«, in die sich dieser Maler erfolgreich vorgewagt hat: Es ist die Welt des »Formlosen«, »Amor– phen«, in der das Innerste nach Außen auf- und ausbrechen darf- ohne Weg und ohne Ziel - oder besser mit dem einen Ziel: in diesem Chaos einen Platz zu fin– den. In diesen dynamischen »informellen« Bildern läßt Reiter der künstleri– schen Spontanität freien Lauf. Farbflecken, Linien, Strukturen sind der zufällige, unmittelbare Ausdruck elementarer geistiger Vorgänge und I oder seelischer Befindlichkeiten. Reiter vermeidet nun den Umweg über die Landschaft - der ein Weg der Reflexion und Planung ist- er läßt »sich gehen«, wohin ihn der inner– ste Impuls gerade führt. Dieser neue Weg, auf dem sich Reiter ein gewaltiges Stück innerer Freiheit erobert hat, begann 1985 im New Yorker Atelier des ver– storbenen US-Künstlers Tschacbasow. Gemeinsam mit dem amerikanischen Informellen schufReiter das großformatige Gemälde »Bis unsere Leben wieder eins sind«. Wieder gibt es ein >>Vorbild« in der Gestalt des Altmeisters des deut– schen »Informell«, Fritz Winter, der einmal gesagt hat: »Es bedarf eines größe– ren Glaubens und einer größeren Kraft, Unsichtbares in freier Gestaltung sicht– bar zu machen, als Sichtbares und Faßbares immer nur als solches zu be– stätigen«. Diese Aussage korrespondiert nicht zufällig mit der des Romantikers Friedrich »... der Maler soll nicht bloß malen, was er sieht, sondern auch, was er in sich sieht«. Diesen größeren Glauben, diese größere Kraft scheint Reiter zu besitzen. Daß er auch in seinen informellen Bildern Form und Wesen, Anfang und Ende nach– spürt, bezeugen Titel wie »Samengeburt« oder »Gestein«. Wer den künstlerischen Weg Reiters über die Jahre hinweg verfolgt hat, er– kennt in diesem Nebeneinander von naturalistischen, fantastisch-visionären und informellen Bildern eine innere Logik und Konsequenz. Der Künstler bekennt sich dazu, daß der Mensch den »Weg zur Wahrheit« in sich selbst suchen muß, wenn es sein muß auch ohne Hilfestellung. Reiter gibt in die– sen »Wilden« Bildern viel von sich preis. Er riskiert sogar Ablehnung und Unver– ständnis bei denen, die auf äußerliche »Ordnung« setzen, weil sie der eigenen inneren Ordnung nicht Herr werden. Angst, Einsamkeit, Wehmut und Schmerz so zu artikulieren wie das Reiter ver– mag, das zeugt von einem Selbstbewußtsein, das groß genug ist, sich und die Welt immer wieder in Frage zu stellen. Der Dialog geht weiter. Die Signale, die dieser Ruhelose aussendet, verhallen nicht ungehört im Kosmos - ein Privileg und eine Bürde zugleich. Helga Boss-Stenner Bad Hornburg 1992
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